Bis 2040 wird auf unseren Straßen ein neues Gleichgewicht entstehen

Im August 2023 hat Wiebke Unbehaun die Leitung der Abteilung II/6 "Aktive Mobilität und Mobilitätsmanagement" im Klimaministerium übernommen. Seit Februar ist Bernhard Kalteis Bundesfußverkehrskoordinator. Im Interview geben sie Einblick in ihr Mobilitätsverhalten, was sie an ihrer Aufgabe besonders reizt, welche Schwerpunkte sie setzen und wie wir alle im Jahr 2040 unterwegs sein werden. 

Sind Sie heute schon im Sinne der Aktiven Mobilität unterwegs gewesen?

Bernhard Kalteis: Ja natürlich. Ich durfte heute meine Kinder mit dem Transportrad in den Kindergarten bringen. Nach einem kurzen Weg zum Kindergarten gehen wir zu Fuß oder fahren mit dem Rad, je nachdem wie schnell es gehen muss und wie der weitere Weg aussieht.

Wiebke Unbehaun: Auch ich war heute schon auf den Beinen. Schon vor dem Frühstück gehe ich mit unserem Hund spazieren. Dabei freue ich mich jeden Morgen, dass die Straßen noch so leer sind, ich andere Hundeausführende treffe und es in meinem direkten Wohnumfeld so viel Grün gibt, dass ich jeden Morgen mehrere Routen zur Auswahl habe. Beim Spazieren habe ich dann auch Zeit, darüber nachzudenken, was der Tag bringen wird.

Wie sieht Ihr Arbeitsweg aus und gibt es etwas zu verbessern?
Kalteis: Mein Arbeitsweg ist etwas länger, da ich in St. Pölten wohne. Ich radle zum Bahnhof, dann nehme ich den Zug und die Öffis - das letzte Stück gehe ich zu Fuß. Diesen Weg in ruhiger Umgebung genieße ich am meisten. Ich sehe kaum Möglichkeiten, meinen Arbeitsweg zu optimieren - außer durch einen Wohnortswechsel oder häufigeres Home-Office.

Unbehaun: Früher bin ich durch ganz Wien zur Arbeit geradelt, aber seit ich im BMK arbeite, habe ich wirklich Glück. Ich habe einen kurzen Arbeitsweg, der noch dazu durch den grünen Prater führt. Er ist bequem zu Fuß oder mit dem Rad zu bewältigen. Je nachdem, wie meine Zeit am Morgen ist, gehe ich zu Fuß oder nehme das Rad und genieße die grüne Lunge Wiens - egal zu welcher Jahreszeit. Das Erreichen der Lände am Donaukanal holt mich dann schlagartig in die Realität zurück. Hier ist es unübersichtlich, laut und staubig und ich weiß jeden Tag aufs Neue, warum meine Tätigkeit im BMK nicht nur Arbeit, sondern auch Leidenschaft ist.

Frau Unbehaun, Sie sind Raumplanerin und kommen aus der Mobilitätsforschung. Was nehmen Sie aus Ihren bisherigen Tätigkeiten mit und was reizt Sie besonders an Ihrer Aufgabe im Klimaschutzministerium?

Unbehaun: Seit über 20 Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema nachhaltige Mobilität. In dieser Zeit habe ich an vielen interessanten und visionären Pilotprojekten und Studien mitgewirkt. Aus dieser Zeit nehme ich mit, dass die Mobilitätsforschung bereits viele Lösungsansätze zur Unterstützung der Mobilitätswende bietet, dass es vielfältige Initiativen mit großartigen Ansätzen im ganzen Land gibt, dass es aber oft an den Schnittstellen zur breiten Umsetzung mangelt. Meine Tätigkeit im BMK ermöglicht es mir, den Weg zur Klimaneutralität im Verkehr zu unterstützen, indem wir dazu beitragen, die Rahmenbedingungen für Aktive Mobilität zu verbessern. Beispiele dafür sind einerseits strategische Instrumente wie der Masterplan Gehen und der Masterplan Radfahren sowie Anpassungen der rechtlichen Rahmenbedingungen. Zum anderen unterstützen wir im Rahmen der Klimaschutzinitiative klimaaktiv mobil mit Bewusstseinsbildung, Aus- und Weiterbildung von Multiplikator:innen sowie durch die Förderung von Maßnahmen zum Mobilitätsmanagement und den Ausbau der Infrastruktur für den Fuß- und Radverkehr.

Herr Kalteis, Sie haben in einem Verkehrsplanungsbüro gearbeitet und beim Klimabündnis einige Projekte zum Thema Gehen geleitet. Wie wichtig sind diese Erfahrungen für die Rolle des Fußverkehrskoordinators?

Kalteis: Sowohl die Planungspraxis als auch die Umsetzung von Projekten mit Gemeinden im Klimabündnis sind sehr hilfreich. Viele meiner Themen betreffen die Kommunen direkt, daher sind die Erfahrungen aus der dieser Zusammenarbeit für meine Arbeit besonders wichtig. Aus meiner Sicht braucht es ein gewisses Verständnis dafür, wie Städte und Gemeinden funktionieren. Durch die Projekte im Bereich Fußverkehr konnte ich auch viele Kontakte mitnehmen. Es gibt eigentlich viele Parallelen zu meiner vorherigen Arbeit beim Klimabündnis, eine davon ist, das Thema Gehen auf Bundesebene voranzutreiben. Jetzt allerdings mit viel mehr Gestaltungsspielraum.

Aktive Mobilität hat im Klimaschutzministerium einen so hohen Stellenwert wie noch nie. Wo liegen die aktuellen Schwerpunkte in Ihren Bereichen?

Unbehaun: Aktuell liegt unser Fokus darauf, das Gehen und Radfahren als gleichwertige Mobilitätsformen zu etablieren. Mit dem Mobilitätsmasterplan für Österreich 2030 haben wir uns die ambitionierten Ziele gesetzt, den Radverkehrsanteil an allen Wegen bis 2030 auf 13 Prozent zu verdoppeln und den Fußverkehrsanteil bis 2040 auf 22 Prozent zu steigern. Als strategische Instrumente haben wir hier den Masterplan Radverkehr und den Masterplan Fußverkehr. Sie sind für uns quasi der handlungsleitende Fahrplan für die nächsten Jahre. In ihnen sind zahlreiche Maßnahmen definiert. Das Rückgrat bei der Umsetzung bildet die Initiative klimaaktiv mobil mit ihren fünf Säulen Förderprogramm, Bewusstseinsbildung und Zielgruppeninformation, Aus- und Weiterbildung, Zertifizierung und Auszeichnung sowie Beratung. Nach Gebietskörperschaften, Betrieben, Bildungs- und Jugendeinrichtungen sowie Tourismusorganisationen werden wir künftig auch die Zielgruppe der privaten Haushalte in den Fokus nehmen, um sie dabei zu unterstützen, Aktive Mobilität zum Alltag zu machen. Hier legen wir mit dem Aufbau von Zukunftskompetenzen bei Kindern und Jugendlichen durch Radfahr- und Gehtrainings und Unterrichtsmaterialien sowie der Förderung geeigneter Infrastruktur in Gemeinden und Städten gleich mehrere Grundsteine. Zudem werden wir unsere Zusammenarbeit mit Multiplikator:innen intensivieren und an weiteren skalierbaren Initiativen arbeiten, die noch besser auf die Zielgruppen ausgerichtet sind.

Kalteis: Ein Schwerpunkt sind derzeit die Förderungen für das Zu-Fuß-Gehen. Die Fördersummen für Städte und Gemeinden für die planerische und bauliche Umsetzung von Fußverkehrsmaßnahmen sind sehr hoch. Ich hoffe, dass die Kommunen diese Chance erkennen und noch heuer Projekte starten. Darüber hinaus wollen wir das Thema Gehen noch stärker ins Bewusstsein rücken und starten daher in der zweiten Jahreshälfte 2024 eine Fußverkehrskampagne für Gemeinden, Betriebe und Bildungseinrichtungen, aber auch für Privatpersonen. Das Gehen soll als gleichwertige Mobilitätsform bewusst wahrgenommen werden. Das dritte Thema, für das ich als Koordinator natürlich zuständig bin, ist die Koordination aller Fußverkehrsbeauftragten der Länder und auch der Gemeinden. Dazu nutzen wir das Format einer österreichweiten, oft interaktiven Arbeitsgruppe mit Exkursionen und Impulsreferaten.

Ein Blick in die klimaneutrale Zukunft. Wo stehen wir im Jahr 2040? Wie hat sich die Alltagsmobilität der Österreicher:innen verändert?

Kalteis: Viele Menschen haben dann erkannt, wie viel Lebensqualität man gewinnen kann, wenn man sein eigenes Mobilitätsverhalten ändert - vor allem, wenn die bauliche Umgebung den Mobilitätswandel mitmacht. Im Jahr 2040 wird es auf unseren Straßen ruhiger zugehen, durch die angepasste Geschwindigkeit wird es auch leichter sein, die Verkehrsarten nach dem Shared-Space-Prinzip zu mischen. In vielen Regionen werden wir menschengerechtere Orte haben, die das Konzept „Ort der kurzen Wege“ umsetzen und den öffentlichen Raum belebt haben. Ich freue mich auf die Mobilitätszukunft 2040.

Unbehaun: Eine Vielzahl von Initiativen unterschiedlichster Akteur:innen haben dazu beigetragen, dass Gehen und Radfahren zu gleichberechtigten Mobilitätsformen geworden sind. Dies spiegelt sich auch in der Gestaltung des öffentlichen Raums, der Flächenaufteilung und dem Geschwindigkeitsregime wider. Es hat sich ein intuitives Mobilitätssystem entwickelt, in dem man ohne viel nachzudenken die Aktive Mobilität als bevorzugtes Verkehrsmittel wählt, weil die Infrastruktur zum Zufußgehen und Radfahren einlädt. Der öffentliche Raum bietet so viel Qualität - für die Aktiven Mobilität und das Verweilen. Und das nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land. Vor allem in Kombination mit Öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn die Wege mal länger sind. Wenn es schon ein motorisiertes Fahrzeug sein muss, dann mit klimaneutralem Antrieb und zum Teilen. Auf den Straßen ist ein neues Gleichgewicht entstanden. Aktiv mobil sein ist die inklusivste Form der Mobilität. Für nahezu jede Altersgruppe und jeden Geldbeutel gibt es das passende Mobilitätswerkzeug, vor allem wenn man die positiven Synergien mit dem Öffentlichen Nahverkehr und diversen Sharing-Angeboten im Auge behält. Das ist zukunftsfähig und macht uns alle ein Stück unabhängiger.

Veröffentlicht am 15.04.2024